Die Autorität der Prophetenschriften am Beispiel von Hosea. Response an István Karasszon

Kató Szabolcs Ferencz: Die Autorität der Prophetenschriften am Beispiel von Hosea. Response an István Karasszon. In: Georg Plasger - Fazakas Sándor (ed.): Autorität und autoritäre Strukturen. Reflexionen aus reformiert-theologischer Perspektive. Forschungen zur Reformierten Theologie 16. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2024. 46-60

In diesem Beitrag wird der Frage nachgegangen, welche Faktoren dazu geführt haben könnten, dass bestimmte Prophetenschriften als Traditionsliteratur weitergegeben wurden. Diese Frage wird am Beispiel des Hoseabuchs beantwortet.

Weder Prophetie als solche noch eine Schrift als Literatur hat per se Autorität. Lebende Personen können in der Gesellschaft durch ihre Taten und ihren Charakterein hohes Ansehen erreichen. Sobald sie aber nur in literarischen Werken existieren, werden sie zu literarischen Figuren. Dann können nicht mehr sie, sondern allein ihr Werk Autorität beanspruchen. Prophetie war im AO ein relativ verbreitetes Phänomen der Gottesbefragung aber keineswegs ein privilegiertes. Propheten waren Gottesmänner, die in der Lage waren politische und geschichtliche Ereignisse zu deuten und kommentieren, und ggf. mit ihren Mitteln zu beeinflussen. Ob sie jedoch gehört wurden oder nicht, entschieden die Adressaten. Frommere Könige schenkten Orakeln mehr Aufmerksamkeit als andere Könige und archivierten sie deshalb. Botschaften, die für den König gefährlich werden konnte, wurden sehr oft als falsch deklariert, um den Propheten zum Schweigen zu bringen.

Gegenteilig sind erwünschte Inhalte als Teil der eigenen Propaganda gerne publik gemacht worden. Dies kann besonders bei den außerisraelitischen Orakeln wahrgenommen werden. Die alttestamentliche Prophetie bildet hierbei eine gewisse Ausnahme. Alle Prophetenbücher stellen eine Art Oppositionsliteratur dar, die die führende Schicht, sprich die Elite, vehement kritisiert. Zeitgleich zu den behandelten Ereignissen sollten diese Stimmen vor allem bei den Gegnern und Kritikern dieser Elite Gehör finden. Ihre Autorität war also zunächst sehr begrenzt und lässt sich in erster Linie für die prophetischen Schulen wahrscheinlich machen. Erst mit zeitlichem Abstand zu den behandelten Ereignissen gewannen die Geschichtsdeutungen der Propheten eine breitere Anerkennung. Als Maßstab für die Rezeption lässt sich die Wahrheitsprinzip festgemacht werden (siehe Prophetengesetz). Der Begriff der Wahrheit muss dabei allerdings weit gefasst werden. Ob ein Prophetenwort wahr ist oder nicht, sagt nichts über die Genauigkeit des Orakels aus, sondern über das, was die Trägerschaft des Orakelwortes für die eigene Geschichtsdeutung für richtig und wahr hält. So gelten Mi und Jona, die Ereignisse vorhersagen, die zum Zeitpunkt der ersten Rezeption noch nicht eingetreten waren, dennoch als wahre Propheten, da sie das Volk zur Umkehr bewegten. In der Anschauung der Rezipienten sind sie Hauptfiguren der göttlichen Metageschichte, die genau das
geleistet haben, was von ihnen erwartet wurde. Darin steckt vielleicht das entscheidendste Kriterium der prophetischen Autoritätsfrage.

In Hos lassen sich weitere Anhaltspunkte für die Motivation der Rezeption finden. Eine wesentliche Rolle spielt das oben schon angedeutete Wahrheitsprinzip. Prophetische Botschaften, die geschichtlich eintrafen, haben dem Propheten Recht und seinem Nachlass Autorität gegeben. Im Hinblick auf Hos ist es der Niedergang des Nordreichs, der seine Prophetie von der Oppositionsliteratur zur Krisenliteratur werden lässt. Das gilt insbesondere für israelitische Flüchtlinge, aber auch für judäische Leser, denen ein ähnliches Schicksal drohte. Hos antwortete auf die Frage, warum ein Königreich zugrunde ging. Gleichzeitig wurde Hos mit judäischen Fortschreibungen aktualisiert, um die südlichen Leser anzusprechen. Autoritäten werden jedoch oft auf bereits bestehende Autoritäten aufgebaut. Hos, als Teil des Vierprophetenbuches, tritt in einen Dialog mit dem DtrG und versteht sich als eine Art Kommentar bzw. Ergänzung dazu. Ein Teil seiner Autorität wird ihm also von dem DtrG verliehen. In ähnlicher Weise wird auch auf Grundmythen Bezug genommen, wodurch die Akzeptanz der eigenen Meinungen gesichert werden soll. Wenn sich diese Beobachtung verallgemeinern lässt, kann durchaus behauptet werden: Autorität wird von den Tradenten geschaffen. Sie machen aus dem Nachlass des Propheten das, was wir heute kennen. Dabei helfen oftmals schon vorhandene Autoritätsstrukturen anderer Schriften. Auf diese Weise wird aus der marginalisierten Meinung eines Propheten und seines Kreises die führende Stimme Gottes, auf die die Kirche auch heute noch zu hören versucht.